Schneider von Ulm
Autor: Franz-Karl | Kategorie: Schwäbische Originale
hots flige brobiert
no hot en dr Deifel
en Donau neigfierd
oder wer den Schaden hat… könnte man die Geschichte überschreiben, die sich am 31. Mai 1811 in Ulm zugetragen hat. Aber zurück zu den Anfängen. Am 24. Juni 1770 wird in Ulm Albrecht Ludwig Berblinger als siebtes Kind in bescheidene Verhältnisse geboren. Sein Vater ist Amtsknecht im städtischen Zeughaus. Es ist keine gute Zeit. Die Ernte fällt in diesem Jahr nur dürftig aus und auch im nächsten Jahr vernichtet sie der Regen. Die Getreidepreise steigen ins Unermessliche. Ulms Reichsstadtherrlichkeit hat ihren Glanz verloren. Die Stadt ist hoch verschuldet und steht vor dem Bankrott. 1773 ordnet der Kaiser einen Schuldentilgungsplan an, der die Stadt zum Verkauf von Rechten, Gütern und Gebietsteilen zwingt, freilich ohne großen Erfolg. Einige wenige Patrizierfamilien regieren Ulm und das mehr schlecht als recht. Das Wirtschaftsleben erstarrt mehr und mehr. Trotzdem hält man an den Zunftordnungen und tradierten Vorrechten fest. Kompetenzgerangel und Konkurrenzstreitigkeiten ersticken jeden Reformansatz. Der Niedergang von Handel und Gewerbe beschleunigt sich. Die Stadt Ulm hat 17 Zünfte, die nach Vermögen und Einfluss einer strengen Hierarchie unterliegen. Einige Handwerker
können noch ein auskömmliches Leben führen. Die meisten aber leiden unter Arbeitsmangel oder Arbeitslosigkeit. Besonders schlecht geht es den Schustern und Schneidern., gelten die Schneider ja eh als arm. Man denke nur an die Zeichnung der Schneider in Grimms Märchen.
Albrechts Vater stirbt, als der Junge 13 ist. Die Mutter muss die drei jüngsten Kinder, unter ihnen Albrecht, ins Waisenhaus geben. Mit 14 wird er wieder entlassen. Auf Anordnung seines Waisenvaters muss er eine Schneiderlehre absolvieren. Dieses macht er klaglos und wohl nicht ohne Erfolg. Er wird vier Jahre früher als üblich Schneidermeister. 1792 heiratet er Anna Scheiffelin, die aus einer alten Donauschifferfamilie stammt. Sie bekommen 6 Kinder. Der junge Schneidermeister geht trotz der großen Konkurrenz erfolgreich seinem Handwerk nach und beschäftigt zeitweilig bis zu vier Gesellen. Im Fischerviertel kann er schon zwei Jahre nach seiner Hochzeit ein Häuschen erwerben.
Die Unzufriedenheit der Ulmer mit ihrem Ratsregiment wächst. Die Ideen der französischen Revolution finden in Rom begeisterte Anhänger. Der Unmut der Bürger entlädt sich am 9. August 1784 im sogenannten Kanonenarrest. Aufgebrachte Bürger, unter ihnen Berblinger, verhindern den Abtransport städtischer Kanonen an den Rhein, wo die kaiserliche Armee gegen die Truppen des neuen Frankreich kämpft. 1796 kommen in Ulm Revolutionspläne für eine Schwäbische Republik nach französischem Vorbild auf. Ein Verfassungsentwurf wird geschrieben, der eine moderne demokratische Gesellschaftsordnung mit Gewaltenteilung und Volkssouveränität vorwegnimmt. Aber 1802 endet die Reichsstadtzeit. Ulm wird bayrisch. Der Traum von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verfliegt.
Berblinger ist nach seiner Teilnahme am Kanonenarrest einbestellt worden und verhört worden. Möglicherweise hat ihn das eingeschüchtert. Eine gewisse Unruhe scheint ihn erfasst zu haben. 1796 verkauft er sein Haus im Fischerviertel und wohnt zur Miete am Münsterplatz. Dann erwirbt er ein Haus in der Herrenkellergasse, das er 1804 wieder verkauft. Er beschäftigt sich nun mit der Mechanik, die ihn schon als Kind beeindruckt hatte. Bei seinem Vater im Zeughaus konnte er die umfangreiche Waffen-und Modellsammlung sehen, die ihn sicher angeregt hat. Mit seinen Brüdern, einem Nagelschmied und einem Binder baut er “gut konditionierte Kinderchaisen” für die er im Ulmer Intelligenzblatt wirbt. Dann beschäftigt er sich mit dem Bau von Prothesen, die unter Ulmer Ärzten Aufsehen erregen. Dadurch ermutigt bittet er an höchster Stelle um Erlaubnis, für seine Erfindung öffentlich werben zu dürfen. Er darf zwar herstellen und verkaufen, öffentlich werben darf er aber nicht. Er wendet sich nun einer neuen Herausforderung zu, dem alten Menschheitstraum, dem Fliegen.
In Wien unternimmt der im schweizerischen Liedertswil geborene Jakob Degen seine Flugversuche. Auch Albrecht Berblinger kennt diese. Vor den Augen von Kaiser Franz I. unternimmt er einen Flug. Vier Stunden dauert er. Mit Hilfe von Schwingen kann er kleine Richtungsänderungen vornehmen. Das Grundprinzip ist völlig entgegengesetzt. Degen versucht es mit dem Schwingenflug, Berblinger erkennt die Zukunft im Gleitflug. Am Ulmer Michelsberg unternimmt er erfolgreiche Flugversuche. Es sind die ersten Gleitflüge der Luftfahrtgeschichte. Nun geht er an die Öffentlichkeit. Er gibt im schwäbischen Merkur am 24. April 1811bekannt, dass s ihm gelungen sei, eine Flugmaschine zu konstruieren. Ulm ist seit 1810 württembergisch und so soll König Friedrich ein besonderes Spektakel geboten werden. Auf der Adlerbastei wird ein 7 Meter hohes Holzgerüst errichtet, damit Berblinger die nötige Absprunghöhe hat. Am 31. Mai soll der Flug vorgeführt werden. Berblinger läuft an, erhebt sich für einen Moment in die Luft und stürzt kopfüber in die Donau. Hohn und Spott ergießen sich über den Schneider. Berblinger ist zunächst mal abgetaucht. 1812 erhält er eine Stelle als Regimentsschneider. Seine Spur verliert sich. 1816 ist er wieder in Ulm. Sein Hang zu Trunk und Spiel ist amtlich. Er verliert sein Bürgerrecht. 1820 stirbt seine Frau an “Auszehrung” mit 54 Jahren. Berblinger heiratet 1822 nochmals und hält isch mühsam mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.
Am 28. Januar 1829 stirbt Berblinger in einem Ulmer Spital und wird in einem Armengrab beerdigt.
Heute weiß man, dass sein Fluggerät grundsätzlich flugfähig war. Und man weiß, dass ein Gleitflug durch die an Flüssen herrschenden Fallwinde sehr erschwert wird.
21 Feb 2011